Donnerstag, 2. September 2010

Leseprobe neun "Zweieinhalb Wochen"



Er lehnt lässig an der Theke eines Bierstandes und sieht mich kommen. Ich fühle seine Augen auf mir und weiß, dass es jetzt keinen Zweck mehr hat auszuweichen; ich fühle mich aber auch außerstande, einfach vorbeizugehen, und so gehe ich langsamen Schrittes auf ihn zu.
»Wohin denn so schnell, schöne Frau? Warum der eilige Aufbruch eben? Kann es sein, dass du vor irgendetwas wegläufst?«
Sein spöttisches Grinsen, seine funkelnden blauen Augen, seine ganze Haltung verwandeln meine Aufregung direkt in Wut. Ich bringe keinen Ton heraus. Am liebsten würde ich ihn ins Gesicht schlagen, nehme mich aber mit einer ungeheuren Anstrengung zusammen.
»Ich weglaufen? Warum sollte ich? Ich wollte nur schnell raus da. Warum, geht dich gar nichts an! Was machst du überhaupt hier?«
Er lacht: »Meinst du, ich erkenne nicht, ob du die Wahrheit sagst? Du brauchst nicht zu versuchen, dich zu verstellen, es hat sowieso keinen Zweck.«
Ich schlage die Augen nieder. »Wir wollten es beenden, nicht beginnen lassen«, sage ich leise. »Du bist ein Fremder für mich.«
»Bin ich das wirklich?«
Krampfhaft suche ich nach einer passenden Antwort, als R., S., U. und P. auftauchen.
»Ich muss weg.« Ich weise mit dem Kopf in Richtung meiner Freunde, die an der anderen Seite des Bierstandes an die Theke getreten sind und nun zu mir herüberschauen. Ich will mich abwenden, aber er hält mich an der Hand fest.
»Kommst du zurück?«
»Du wirst kommen«, beantwortet er sich selbst seine Frage, denn er erkennt die Wahrheit in meinen Augen, eine Wahrheit, die ich mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingestehen will; und so entwinde ich mich seinem Griff und gehe.
»Wo warst du denn auf einmal?«, fragt P. mich.
»Mir war plötzlich schlecht. Ich musste schnell da raus.«
Die Auskunft scheint ihn zufrieden zu stellen.
»Und jetzt? Was habt ihr heute noch so vor?«
»Wir wollten ein wenig bummeln, müssen allerdings noch unsere Instrumente zum Zelt zurückbringen«, antwortet R.
»Kommst du mit?«, wendet er sich an P., »du wolltest doch noch nach meiner Gitarre schauen.«
»Könnte ich eigentlich machen. Im Moment ist ja hier sowieso nichts los.«
Er wendet sich an mich: »Und du? Bleibst du solange hier?«
»Ich habe bei der Hitze wirklich keine Lust, unnötig weit herumzulaufen. Da warte ich lieber hier.«
»Du hast Recht, bei einem kühlen Bier im Schatten kann man es ganz gut aushalten«, stimmt U. mir zu: »Ich schließe mich an. Es wäre nett, wenn ihr meine Gitarre mitnehmen würdet.«
Er nimmt sich einen Hocker und setzt sich neben mich.
Das gefällt mir gar nicht. Doch was soll ich machen? Aus den Augenwinkeln heraus erkenne ich, dass der Mann immer noch da steht. Endlich gehen R., S. und P.
Der Kellner bringt mir mein Bier. Ich fühle mich wie gelähmt, dafür rasen meine Gedanken umso schneller. Was mache ich denn jetzt? Zu ihm hinübergehen? Nein, unmöglich, nicht solange U. noch da ist. Ich muss aber etwas tun, verdammt!
Fieberhaft überlege ich weiter. Zu allem Überfluss trinkt er langsam aus, packt seine Zigaretten ein und geht. Verzweifelt greife ich zu meinem Glas und kippe den Inhalt ohne abzusetzen herunter.
»Da hatte aber jemand Durst«, stellt U. fest.
Reste des Bieres laufen über mein Kinn. Entschlossen wische ich es ab. Ist es der schnell getrunkene Alkohol, der mich plötzlich mutig macht? Oder weiß ich intuitiv, dass ich handeln muss? Ich hole tief Luft.
»Bitte, U., ich muss sofort weg! Frag mich nicht, warum, und frag mich nicht, wohin. Frag mich einfach gar nichts.«
Verwundert sieht er mich an: »Und wenn die anderen zurückkommen?«
»Sag ihnen irgendwas. Meinetwegen, dass ich zurück zum Zelt gegangen wäre. Bitte –«
Flehend schaue ich ihn nochmals an und gehe.

-  Ende Leseprobe neun –

Mit dieser kurzen Leseprobe verabschiede ich mich von euch bis morgen, Pearl
Zweieinhalb Wochen
Erotischer Roman, ISBN: 978-3-939970-01-9
© 2006 con dedizione, Verlag für Erotische Literatur, Köln
Vierte Auflage: September 2010

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