Freitag, 20. August 2010

Leseprobe zwei: "Zweieinhalb Wochen"


Mein Hals ist trocken, als ich auf die Bühne gehe. Plötzlich ist das Lampenfieber wieder da. Ich trinke etwas Guinness, stimme in U.s Gesang ein, werde ruhiger. Automatisch finden meine Finger die Akkorde auf der Gitarre, ich lächele und beginne mit Paddy’s Lamentation. Meine Stimme schwebt im Raum, dazu die leise Gitarre, leicht setzt R.s Bodhrán ein, der Song ist viel zu schnell zu Ende. Beifall bricht los, ich fordere R. auf, direkt mit dem Solo für den zweiten Song zu beginnen, und wir spielen die beiden schnellen Lieder hintereinander. Der Applaus kommt mir ohrenbetäubend vor.
»Ein Lied kannst du noch«, bedeutet mir R., als ich von der Bühne gehen will. Ich zucke die Schultern, um ihm zu sagen, dass ich keine Songtexte mehr auswendig wisse, doch dann fällt mir dieses alte irische Lied ein. Ich greife zum Mikrofon, schließe die Augen.
Once upon a time there was/ Villages of Irish blood …
Then the vikings came along/ Pulled us up and pulled us down/ tried to change our living.
Cromwell and the soldiers came/ started centuries of shame/ But they couldn’t change us then/ We are a river flowing. We are a river flowing  –
Zögernd einsetzender Applaus. Ich öffne die Augen und bedanke mich. Schnell gehe ich von der Bühne.

Ich bestelle mir ein neues Bier. Es hat Spaß gemacht zu singen. Vielleicht sollte ich es noch mal probieren – aufzutreten vor Publikum? Aber nicht mehr in einer Band, das ist mir zu viel Stress, zu viel Arbeit. Ich könnte es auch allein versuchen. Aber nein, dafür bin ich zu alt.
Ich zahle mein Guinness. Die Band hinter mir ist zu den üblichen Traditionals zurückgekehrt, S.s Banjo klimpert leise. Der Abend ist weit vorangeschritten, aber immer noch drängen sich die Menschen in dem Pub. Eine große Gruppe angetrunkener Festivalbesucher kommt herein und stürmt die Theke. Irgendwo an der Bühne muss es Unruhe geben, denn plötzlich wogt eine Welle von Leibern durch den Raum. Jemand steigt mir auf die Füße. Das Bier in meinem Glas schwappt über, benetzt mein Top. Verärgert will ich mich abwenden, als ich eine Stimme leise sagen höre: »Excuse me, I’m really sorry.«
Ich werfe einen Blick auf den Sprecher und sehe ein interessantes Gesicht mit bedauernden Augen. Unwillkürlich muss ich lächeln.
»Schon in Ordnung. Ich stehe hier vielleicht ungünstig.«
Irgendwie schaffe ich es, mich aus dem Pulk der Leute herauszuwinden, suche mir einen ruhigeren Platz hinten an der Theke, stelle mein Glas ab und gehe zur Toilette, um mich notdürftig zu reinigen. Als ich zurückkomme, steht dort der Mann, der mir kurz zuvor auf die Füße getreten ist: »Es tut mir wirklich leid, ich möchte mich nochmals entschuldigen.«
»So was kann ja passieren. Ich bin nicht nachtragend.«
»Darf ich Ihnen trotzdem eine Zigarette anbieten? Als Friedensangebot?«
Ich bedanke mich und nehme mir eine aus dem Etui.
»Ich sollte Sie warnen, es sind Selbstgedrehte«, meint er lächelnd, »aber sie sind nicht stark. Und es ist auch nichts drin.«
Ich lächele zurück, betrachte ihn genauer. Er ist größer als ich, einen halben Kopf, schlank, und wie fast alle hier trägt er Jeans und T‑Shirt. Seine Augen sind intensiv, fast aufdringlich; ruhig gibt er meinen Blick zurück. Verlegen wende ich mich der Bühne zu. Die Band spielt weiterhin Jigs und Reels. Er scheint ebenfalls zuzuhören.
»Sie haben sehr schön gesungen.«
»Ja? Hat es Ihnen gefallen? Danke.«
»Da bin ich wohl nicht der Einzige. Als Sie gesungen haben, war es still. Kein Gegröle und keine Zwischenrufe. Gehören Sie zur Band?«
»Nein, nicht mehr. Es sind alte Bekannte von mir, ich habe sie zufällig getroffen.« Ich werde nachdenklich: »Es ist lange her, aber es ist vorbei.«
»Das ist schade. Ihr wart bestimmt gut.«
»Nicht so gut, wie wir es uns gewünscht hätten«, erwidere ich fast scharf. Mein Gott, warum erzähle ich das einem Unbekannten? Es interessiert ihn doch bestimmt nicht. Ich streife die Asche der Zigarette ab und stelle unwillig fest, dass er mich immer noch ansieht.
»Und Sie? Was machen Sie hier? Sind Sie auch wegen des Festivals hier?«
»Nein, ich habe Urlaub. Das Festival ist eine kleine Zugabe für mich, und wenn mich eine Band oder ein Künstler interessieren, gehe ich hin. Und Sie? Sind Sie jedes Jahr hier?«
»Nein. Wir waren vor ein paar Jahren einmal hier, haben dann aber andere Folkfestivals besucht, weil Dänemark von uns aus sehr weit und nicht gerade billig ist.«
Was er wohl im Urlaub macht? Ich betrachte seine Hände. Eine Hand liegt ruhig auf der Theke, während die andere die Zigarette hält; sie sind braungebrannt und sehen trotz der langen, feingliedrigen Finger so aus, als könnten sie kräftig zupacken. Irgendetwas Sportliches vielleicht. Er sitzt bestimmt nicht den ganzen Tag im Liegestuhl am Strand. Meine Augen wandern über seinen schmalhüftigen, offensichtlich durchtrainierten Körper. Plötzlich wird mir klar, dass er meine Blicke vielleicht bemerkt hat.
»Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht weiter stören.«
Ich wende mich der Band zu, die ein Set von wunderschönen Jigs spielt; es beginnt mit einem langsamen Intro, steigert im mittleren Stück die Geschwindigkeit und endet in der furiosen Version eines Slipjigs. Als der verdiente Applaus losbricht, wird mir bewusst, dass er mich die ganze Zeit angeschaut hat.
Was starrt er mich so an? Sie sind wohl einmalig, diese Augen, so offen, so klar … Welche Farbe sie wohl genau haben? Ich würde sie gerne einmal bei Tageslicht sehen … O mein Gott, ich flirte ja mit ihm?! Ein Flirt mit einem Fremden, einer Zufallsbekanntschaft? Ich muss das beenden.
Ich trinke das Bier aus, erhebe mich vom Barhocker.
»Ich muss weg«, murmele ich, höre ihn hinter mir sagen: »Eigentlich wollte ich Ihnen ja noch ein Bier ausgeben«, und verlasse fast fluchtartig die Gaststätte.

- Ende Leseprobe zwei - 

So, das wars für heute. Ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht.
Bis morgen, Pearl

Zweieinhalb Wochen
Erotischer Roman, ISBN: 978-3-939970-01-9
© 2006 con dedizione, Verlag für Erotische Literatur, Köln
Vierte Auflage: September 2010

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