Samstag, 28. August 2010

Leseprobe sieben: "Zweieinhalb Wochen"



Er liegt lange auf mir. Ich spüre sein Gewicht, es ist mir keine Last. Seine Atemzüge streicheln meinen schweißnassen Nacken. Der Duft, der mich so fasziniert, liegt wie eine weiche Wolke über uns. Ich verharre, genieße. Schließlich bewegt er sich, murmelt: »Ich erdrücke dich ja«, und legt sich neben mich: »Du hättest doch etwas sagen können.«
Ich sehe ihn durch den Wasserfall meiner Haare an. Er streicht sie mir aus dem Gesicht und fährt mit den Fingerspitzen über eine Wange.
»Du hast mir vertraut. War ich nicht zu grob zu dir?«
Ich schüttele den Kopf: »Wie kommst du denn darauf? Lust und Schmerz können manchmal eng beieinanderliegen. Du hast es geschafft, beides zu verbinden.«
»Du bist wundervoll. Ich möchte dich wiedersehen.«
»Ich weiß nicht, ob das geht.«
Er berührt meine Lippen: »Sag das nicht. Ich möchte es jetzt einfach nicht hören.«
»Kannst du die Wahrheit nicht vertragen?« Ich lache auf: »Ich bin nicht allein hier, das sagte ich bereits. Und wir werden am Sonntag abreisen.«
Meine Worte bringen mich zurück in die Wirklichkeit.
Was ist Wirklichkeit? Ich liege mit einem Fremden an einem See und habe wunderbaren Sex mit ihm … das ist Wirklichkeit! Oder? Ist diese Nacht ein Traum? Ist er es? Wer ist er? Ich kann ihn nicht wiedersehen, auch wenn ich es mir wünsche. Ich weiß ja schon gar nicht mehr, was ich mir wünsche.
»Ich kann nicht mehr klar denken«, murmele ich fast zu mir selbst, »nicht wenn du so nahe bei mir bist. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun werde.«
Ich richte mich auf, starre in die Dunkelheit.
»Ich kenne dich nicht. Es ist nicht mein Ding, mit wildfremden Männern zu schlafen, aber dieses Thema hatten wir ja schon. Ich komme mir vor wie ein ganz anderer, fremder Mensch, und, ja, ich habe etwas Angst vor dem Menschen, der sich mir zeigt.« Ich berühre sein Gesicht, tauche ein in seine Augensterne, diese unwiderstehlich ausdrucksvollen Augen, die die ganze Zeit auf mir liegen. »Wohin es mich führen wird? Ehrlich gesagt, es ist mir im Augenblick egal. Aber frag mich nicht nach morgen oder nach nächster Woche.«
»Wir sollten nicht so viel reden. Dafür ist die Zeit viel zu schade.«
Der Klang seiner Stimme lässt mich erzittern. Er ist so nah, und geschehen ist geschehen. Jetzt gehen? Damit mache ich es auch nicht besser. Außerdem, das kann gar nicht sein, aber … Ich will ihn schon wieder.
Ich nähere mich seinen Lippen, schmecke sie, erforsche. Er ist sehr zurückhaltend. Ich locke ihn, lecke seine Lippen, nehme sie zwischen die Zähne, knabbere an ihnen, beiße hinein, gehe mit den Händen tiefer, mein Mund folgt. Beharrlich und lange verwöhne ich ihn. Er will sich hinsetzen.
»Jetzt bin ich dran, bleib liegen.«
Ich beginne von vorne. Ich fühle, spiele, genieße seine Haut, seinen Geruch, seine Lust, endlich sein Zittern, seine Hitze, seine Härte, diese Härte! Wie in Trance fahre ich fort, bis mich seine Hände stoppen. Ich blicke zu ihm hoch.
»Komm zu mir«, sagt er, setzt sich und umarmt mich; eine Zeitlang verweilen wir. Bis er meine Erregung spürt und mich küsst, fordernde, fiebrige Liebkosungen; ich ergebe mich unserer Lust und seinen Künsten, die mich erzittern, erschauern, aufstöhnen, keuchen lassen, die meine Haut, meinen Schoß brennen, schmerzen lassen. Ich drücke ihn nach hinten, ich will ihn in mir; ich gleite auf ihn und explodiere sofort. Seine Hände treiben mich weiter, fordern alles; dann kommt er, ich genieße ihn mit jeder Faser meines Körpers, komme ein zweites Mal und sinke zusammen.
Meine Haare bedecken uns wie ein schützender Vorhang, hinter dem wir uns der Erschöpfung hingeben, und als sich mein Atem beruhigt hat, öffnet er die Augen, lächelt und küsst mich zärtlich. Ich lege mich neben ihn. Aneinandergeschmiegt ruhen wir in der warmen Nacht. Im Busch nebenan zirpen Grillen, sonst ist es bis auf unsere Atemgeräusche still, doch unser Schweigen ist mir nicht peinlich nach unserer Ekstase, denn es scheint mir, als ob diese Ekstase uns so stark verbunden hat, dass jedes weitere Wort überflüssig ist.
»Wie wäre es mit einer Zigarette?«, fragt er nach einer Weile.
»Nicht schlecht.«
Er kommt mit den Sachen zurück, rollt seine Jeans zusammen und schiebt sie mir unter den Kopf. Ich greife nach meinem Rock, bedecke mich damit.
»Mir ist etwas kühl nach der Hitze eben.«
Er reicht mir eine Zigarette: »Ich möchte dich wiedersehen.«
Ich inhaliere tief: »Es wird nicht gehen. Ich sagte dir, warum.«
»Dann sag es mir noch einmal. Ich habe es nicht verstanden. Wir können uns morgen Nacht wieder treffen. Oder wann du willst.«
»Darum geht es nicht. Es ist noch etwas anderes.«
»Was denn? Erzähl es mir.« Er drückt meine Hand.
»Ich weiß es nicht, ich kann es nicht erklären.« Ich blicke zur Seite: »Ich habe Angst.«
»Wovor?«
»Vor dem, was passieren wird, wenn wir uns noch einmal sehen.«
»Was soll denn dann passieren? Wir werden ficken. Und sag nicht, dass es dir keinen Spaß gemacht hat.«
Ich schweige eine Zeitlang, denn ich kann dieses andere, dieses Unbekannte tief in mir nicht definieren, und meine Augen kehren zögernd zu ihm zurück.
»Es ist mehr als das«, meine ich ruhig, sehe ihn lange an: »Nur was es genau ist, weiß ich nicht. Und davor habe ich Angst.« Ich zeige zum Himmel: »Siehst du das?«
Im Osten ist der Anflug der Morgendämmerung zu erkennen; die nachtdunkle Farbe des Himmels hat sich in ein fahles Bleigrau verwandelt.
»Ich rauche noch zu Ende und dann gehe ich.«
Er antwortet nicht.
Die letzte Glut der Zigarette fällt ins Gras. Langsam, unendlich langsam stehe ich auf. Er sieht mich wortlos an. Mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft wende ich mich von seinen Augen ab und ziehe mich an. Meine Bewegungen kommen mir wie ferngesteuert vor.
»Ich muss«, flüstere ich kaum hörbar, »bitte sage jetzt nichts. Ich glaube wirklich nicht, dass wir uns wiedersehen werden.«
Er greift nach meinem Handgelenk, aber irgendwie schaffe ich es, mich freizumachen und zu gehen. Ich laufe ziellos weg; kaum nehme ich durch den Schleier meiner aufsteigenden Tränen die Richtung wahr. Zum Glück ist es bis zum Zeltplatz ein langer Weg. Die Nacht weicht einem stickigen, schwülwarmen Morgen, schon sind die ersten Menschen mit ihren Hunden unterwegs.
Unser Zelt unter Hunderten anderer zu finden ist nicht einfach, es erfordert meine ganze Aufmerksamkeit. Ich bekomme mich besser in die Gewalt, und als ich es erreiche, bin ich wieder ruhig.
Ich kann so nicht ins Zelt. P. wird es riechen.
Das Zelt ist offen. P. liegt auf dem Schlafsack und schnarcht; ich greife hinein und hole ein Handtuch heraus.
Es erscheint mir wie Verrat, als ich unter den Wasserstrahl trete, seinen Geruch von mir abspüle. Lange stehe ich nur da. Nach und nach beseitigt das Wasser die letzten Reste der Nacht und verwandelt mich wieder in ein nach Seife und Shampoo riechendes Neutrum. Nochmals Erinnerungen – ich beiße die Zähne zusammen, drehe das kalte Wasser auf und verharre darunter, bis jedes Gefühl in mir verschwindet und ich die Sehnsucht nicht mehr wahrnehme.
Mein Spiegelbild ist mir fremd. Müde, glanzlose Augen, gerötete Lippen, ich erkenne Bissspuren. Es braucht eine Weile, bis ich mich mittels Make-up wieder so verwandelt habe, dass ich mir zutraue, P. unter die Augen zu treten. Als ich zurückschlendere, erwacht der Campingplatz.
Vielleicht gehe ich erst einmal Brötchen holen. Dann müsste P. wach sein. Außerdem gibt mir das noch etwas Zeit, mich zu sammeln.
P. schläft immer noch, und als ich ihn daliegen sehe, wird mir plötzlich bewusst, dass ich sehr müde bin.
Ein Kaffee wäre nicht schlecht.
Ich hole das Kochgeschirr heraus. Das Klappern des Topfes weckt P., sein Kopf erscheint vor dem Zelt. Verschlafen reibt er sich die Augen.
»Und? Hattest du einen schönen Abend?«
Ich zucke zusammen. Meine Antwort kommt mechanisch.
»Ja, danke. Es war nett dort. Eine halbe Stunde, nachdem du weg warst, kam die Band. Es wurde natürlich noch sehr voll. Und es ist spät geworden. Eine Sperrstunde scheint es hier nicht zu geben.«
Ich blicke ihn nicht an, aber meine Stimme wird flüssiger, und ich erzähle, dass ich unsere alten Bekannten aus früheren Musikerzeiten getroffen habe.
»Sie waren recht gut. Allerdings haben sie zu viele Instrumentals gespielt. Das schien die Leute nicht sonderlich zu interessieren.«
Wir plaudern noch eine Weile über Musik, trinken unseren Kaffee.
»Ich gehe mal nachschauen, ob es mittlerweile Festivalprogramme gibt«, meint P. und steht auf. »Dann könnten wir sehen, wer heute wo und wann spielt. Mit der Livemusik geht es, glaube ich, aber erst am Nachmittag los.«
Er steckt Handy und Börse ein.
»Du bleibst noch hier? Du siehst müde aus.«
Erleichtert nicke ich: »Ich lege mich noch etwas hin. Weck mich aber, bevor es losgeht.«
»Ja, natürlich. Ich bin in einer Stunde wieder da.«
Er verschwindet zwischen den Zelten.
Ich stelle meine Tasse ab, krieche ins Zelt. Es riecht nach Bier und Schweiß, und ich nehme mir meinen Schlafsack, gehe hinaus. Es herrscht zwar schon reges Leben, doch sobald ich mich ausgestreckt habe, überwältigt mich die Müdigkeit. »Und ich weiß noch nicht einmal seinen Namen«, murmele ich zu mir selbst, bis hinter der Macht des Schlafes auch seine Augen verschwinden.

-          Ende Leseprobe sieben -

Mit dieser etwas längeren Leseprobe verabschiede ich mich ins Wochenende,  Pearl

Zweieinhalb Wochen
Erotischer Roman, ISBN: 978-3-939970-01-9
© 2006 con dedizione, Verlag für Erotische Literatur, Köln
Vierte Auflage: September 2010

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